
DIE OLYMPIA RALLYE ’72
eine Sternstunde des Rallyesports in Deutschland
Anläßlich der XX. Olympischen Sommerspiele in München trat die Oberste Nationale Sportkommission für den Automobilsport in Deutschland (ONS) erstmals als Veranstalter eines zugleich auch einmaligen Wettbewerbs, der Olympia Rallye 1972, vor die Öffentlichkeit. Mit der Durchführung dieser Veranstaltung, die wegen ihrer besonderen sportlichen Bedeutung für die Europa-Rallyemeisterschaft der Fahrer sowie die Meisterschaften von Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Italien, der Niederlande und der Türkei gewertet wird, wurden die beiden großen deutschen Automobilclubs, der ADAC und der AvD, beauftragt.
Schon im Jahre 1970 wurden die Vorbereitungen dieser Rallye in Angriffgenommen und die ersten Besprechungen mit dem Organisationskomitee für die XX. Olympischen Sommerspiele, den zuständigen Bundes- und Landesministerien, vielen örtlichen Dienststellen und Behörden und der Industrie geführt.“
So beginnt das Vorwort des damaligen ONS-Präsidenten Hans-Joachim Bernet, im Programmheft der Olympia-Rallye.
Und in der Tat sollte diese Veranstaltung zu einer der Sternstunden im deutschen Rallyesport werden; einer Sternstunde, an die sich viele die damals dabei gewesen sind auch heute – nach fast 50 Jahren – noch gerne erinnern und die auch Motorsportbegeisterte, die damals noch nicht einmal geboren waren, in ihren Bann zieht.
Eine Facebook-Gruppe mit über 900 Mitgliedern (Tendenz steigend) spricht eine deutliche Sprache.
Und dass es 2022 ein REVIVAL geben wird, hätten sich die „Macher“ und die Teilnehmer von damals wohl nie träumen lassen.
Lassen wir also die Rallye von 1972 noch einmal Revue passieren und einige Aspekte ihrer Historie beleuchten.
Die Strecke von 1972
Von etwa 3.000 km Gesamtlänge gingen die „Macher“ der Olympia-Rallye bei ihren ersten Überlegungen zu dieser einmaligen Veranstaltung aus. Die Olympia-Rallye ’72 sollte dabei die olympischen Wettkampforte Kiel und München miteinander verbinden. Da war es gut, dass Kiel und München ganz im Norden und im Süden der Republik liegen.
Nun beträgt die Entfernung zwischen diesen beiden Städten aber trotzdem in der Luftlinie nur ungefähr 700 km und über die Autobahn sind es auf direktem Weg auch nur knappe 900 km. Was war also zu tun?
Man konnte besonders im Westen und im Südosten der damaligen Bundesrepublik auf erprobte Wertungsprüfungen bekannter Rallyes zurückgreifen und diese miteinander verbinden. So entstand die Strecke, die wir alle von der bekannten Grafik kennen.
Sie bewegte sich zunächst bis Kirchheim immer entlang der damaligen innerdeutschen Grenze. Bei Kirchheim ging es dann westlich in Richtung Nürburgring und zur ersten und einzigen Übernachtungspause in Rüsselsheim. Dort waren nach 33 Stunden die ersten 1.400 km geschafft und 23 von 67 geplanten Wertungsprüfungen bewältigt.
Weiter ging es am nächsten Morgen wieder nach Osten. Bis Marktredwitz – dem Heimatort von Hans Schwägerl, dem Organisationschef und „Vater der Olympia-Rallye“ – reihte sich dann Wertungsprüfung an Wertungsprüfung. Von dort aus ging es weiter entlang der Zonengrenze und der Grenze zu Österreich. Am Roßfeld in Berchtesgaden war der südlichste Punkt der Rallye erreicht und bei der Zielankunft im Olympiapark von München waren 3.371 km in knapp 100 Stunden mit einer Übernachtungspause zurückgelegt.
Die OLYMPIA-RALLYE’72 in Zahlen
Die Olympia-Rallye ’72 war eine organisatorische und logistische Meisterleistung. Einen kleinen Eindruck davon vermittelt eine Pressemitteilung vom 26. Juli 1972
Und das alles ohne Mobiltelefone, Email oder ähnliche Hilfsmittel. Nicht einmal Faxgeräte gab es damals.
Im Ziel wurde (sh. Ergebnisliste) folgende beeindruckende Bilanz gezogen :



Die Wertungsprüfungen der Olympia-Rallye
Die Geschichte der Olympia-Rallye ’72 ist natürlich auch – und vielleicht in erster Linie – die Geschichte der Wertungsprüfungen.
67 davon sollten ursprünglich gefahren werden; 62 mit einer Gesamtlänge von 607,4 km wurden es schließlich.
Zunächst ging es gemächlich an. Nach dem Start in Kiel wurde bis zur ersten Zwangspause in Wolfsburg nur eine WP in Mölln gefahren. Und bereits hier setzte Walter Röhrl das erste Ausrufezeichen. Mit 2.28.5 min. verwies er die Favoriten Darniche und Mikkola auf die Plätze. Das erschien den Offiziellen so unwahrscheinlich, dass die Zeit zunächst nur inoffiziell gemeldet wurde und man von einem Fehler der Zeitnehmer ausging. Walter ließ dann im Verlauf der Rallye noch 10 weitere Bestzeiten folgen.
Insgesamt trugen sich 12 Fahrer in die Siegerlisten der WPs ein, und zwar
- Bernard Darniche / Alpine Renault 180: 19 Bestzeiten
- Walter Röhrl / Ford Capri 2600 RS: 11 Bestzeiten
- Jean-Pierre Nicolas / Alpine Renault 180: 11 Bestzeiten
- Tony Fall / BMW 2002: 7 Bestzeiten
- Achim Warmbold / BMW 2002: 6 Bestzeiten
- Anders Kulläng / Opel Ascona SR: 2 Bestzeiten
- je eine Bestzeit erzielten Hannu Mikkola, Ove Eriksson, Reinhard Hainbach, Peter Ottensmann, Detlef Mühleck, Alfred van Langen und Karl Richter.
Die folgenden Wertungsprüfungen wurden gefahren und von den aufgeführten Fahrern gewonnen. Bei den angegebenen Zeiten ist die Startzeit des ersten Fahrzeugs angegeben. Bei über 300 Startern dauerte es dann noch fünf Stunden, ehe auch die Startnummer 360 – Henning und Tilo Wünsch aus Idar-Oberstein mit ihrem FIAT 127 – auf die Strecke ging. Nach dem Re-Start in Rüsselsheim waren noch 251 Teams dabei; die letzten mussten also immer noch vier Stunden hinter dem Spitzenreiter herfahren.
Wenn man sich einmal die Startzeiten der einzelnen Wertungsprüfungen anschaut, stellt man fest, dass weit über 20 von ihnen in der Nacht gefahren wurden. Doch das machte den Fahrern nicht viel aus.
Tony Fall – einer der Favoriten der Rallye und mit einem BMW 2002 bis zu seinem Ausfall lange in der Spitzengruppe dabei – sagte vor dem Start in einem Pressegespräch:
„Ich finde es schade, dass die schwierigsten Sonderprüfungen bei der Olympia-Rallye bei Tag gefahren werden“. Seine Erklärung : „In der Nacht sehe ich nicht soviel von der Straße, da kann ich nur nach der Ansage meines Copiloten fahren und das ist optimal schnell. Bei Tag merkt man viel eher, wie wahnsinnig schnell man ist, man lässt sich von einigen böse aussehenden Kurven erschrecken und fährt um einen Hauch langsamer, als der Beifahrer es ansagt. Außerdem sieht man recht deutlich, wenn ein Abgrund neben der Straße ist; im Unterbewusstsein lässt man sich dann doch beeinflussen. Hin und wieder kommt es vor, dass man insgeheim ausrechnet, wie weit man hinunterkullern würde, wenn man einen Fehler macht. In der Nacht ist eben eine ausgewachsene Schlucht auch nicht tiefer als ein Zwei-Meter-Graben.“
Wie Recht Tony hatte, sieht man daran, dass er fünf von seinen sieben Bestzeiten mitten in der Nacht fuhr.
Hier also eine Übersicht über die Wertungsprüfungen:
WP 24 – Waldleiningen
das „Aus“ nicht nur für Achim Warmbold
Nach dem ersten Fahrtabschnitt von Kiel nach Rüsselsheim hatten die Teilnehmer 33 Stunden – zwei Tage und eine Nacht – hinter dem Steuer verbracht und knapp die Hälfte der Fahrtstrecke sowie 23 Wertungsprüfungen bewältigt. Eine 14-stündige Ruhepause – die einzige während der gesamten Rallye – lag vor ihnen.
Zu diesem Zeitpunkt führten Mitfavorit Achim Warmbold und sein Beifahrer Joachim Dörfler das Feld der noch verbliebenen 251 Fahrzeuge mit deutlichem Vorsprung an. Sechs bis dahin gefahrene WP-Bestzeiten sprachen eine deutliche Sprache.
Morgens um 8.30 ging es von Rüsselsheim aus auf den zweiten Fahrtabschnitt. Als erstes stand an diesem Tag die im Rallyesport bekannte Wertungsprüfung Waldleiningen auf dem Programm. 13,5 km Asphalt lagen vor den Fahrern.
Um 13.00 Uhr hieß es dann in einer Pressemitteilung:
„Der Münchner BMW-Werksfahrer Achim Warmbold, mit insgesamt sechs Sonderprüfungs-Bestzeiten die große Überraschung im ersten Fahrtabschnitt der Olympia-Rallye, verlor nach einem Ausrutscher auf der Wertungsprüfung 24 (Waldleiningen, Asphalt) die Führung im Gesamtklassement. Wenig später fiel Warmbold mit einem Folgeschaden des Unfalls ganz aus. Bei dem Ausritt waren Frontpartie und Kühler des BMW 2002 stark beschädigt worden. Warmbold fuhr zunächst weiter, wurde aber bald durch Motorüberhitzung (auslaufendes Kühlwasser) gestoppt. BMW-Rallyebetreuer Helmut Bein: „Schade für Achim, ich hätte ihm für den zweiten Abschnitt sogar noch mehr Glanzleistungen zugetraut. Immerhin hat er jetzt auch die letzten Zweifler überzeugt, daß er in der kleinen Gruppe der Rallye-Weltklasse ganz vorn mitfahren kann.“
Erst später wurde bekannt, dass diese Kurve nicht nur Achim Warmbold zum Verhängnis wurde. Der Asphalt auf diesem Teilstück wurde kurz vor der Veranstaltung erneuert und durch einen kurz vorher niedergegangenen Regenguss war die Stelle extrem rutschig. Das hatte wohl keiner der Teilnehmer auf dem Schirm. Und weil Warmbold als Gesamtführender als erster unterwegs war, wurde er am meisten überrascht und konnte von den Streckenposten nicht gewarnt werden.
Wie Achim Warmbold erging es in Waldleiningen vielen Teilnehmern. Der Bereich um die besagte Kurve entwickelte sich immer mehr zum Schrottplatz. Mindestens zehn weitere Fahrzeuge fielen hier aus; andere verloren durch Ausritte sehr viel Zeit.
Sicherheit bei der Olympia-Rallye
Gurte retten Dieter Glemser vermutlich das Leben
Dieter Glemser war als einer der Favoriten an den Start der Olympia-Rallye gegangen und gehörte dennoch zu den ersten, die die Segel streichen mussten. In einer Pressemitteilung über seinen Ausfall heißt es :
Im Verlauf der dritten Sonderprüfung mit dem beziehungsreichen Namen „Teufelsküche“ (4,0 km, Schotter/Sand/Lehm) gerieten Dieter Glemser und sein Beifahrer Klaus Kaiser im Werks-Escort RS von der Strecke. Eine sofortige Untersuchung im Krankenhaus ergab keine Anhaltspunkte für Brüche oder innere Verletzungen. Beim Aufprall an einen neben der Straße liegenden Baumstamm erlitten beide lediglich Prellungen und Blutergüsse. Nach stationärer Behandlung wurden Glemser und Kaiser nach Hause entlassen.
Zwei Stunden nach dem Unfall telefonierte die Olympia-Rallye-Pressestelle in München mit Dieter Glemser: „Ich glaube, ich war etwas zu schnell für diese Passage. Überdies wurde der festgefahrene Lehmboden durch Feuchtigkeit plötzlich ungeheuer glatt. Wir flogen mit ungefähr 110 km/h gegen den Baumstamm. Ohne die Gurte hätten wir beide den fürchterlichen Aufprall sicher nicht lebend überstanden.“
Warum erwähnte Dieter Glemser die Gurte ? Nun, die Anschnallpflicht in Deutschland wurde erst mehr als drei Jahre nach der Olympia-Rallye – am 1. Januar 1976 – eingeführt.
In der Ausschreibung heißt es unter anderem „Sicherheitsgurte werden den Teilnehmern empfohlen“.
Die Olympia-Rallye und die Presse
Wilhelm Mester, Mitglied unseres Presseteams, hatte als junger Mann das Vergnügen, die Rallye gemeinsam mit seinem Freund und Clubkameraden Günther „Tüte“ Lehmann von Kiel bis München zu begleiten und für verschiedene Zeitungen von ihr zu berichten.
Wie es ihm damals aus Sicht der Presse erging, hat er seinerzeit in einem Zeitungsbericht wie folgt zusammengefasst :
Die Olympia-Rallye und die Presse
Sicherlich ist für den Zeitungsleser das Geschehen auf der Strecke das Interessanteste an einer Großveranstaltung wie der Olympia Rallye 1972. Ansichten und Meinungen der Fahrer zur Strecke und zur Durchführung sind von primärer Bedeutung.
Doch auch aus der Sicht der Presse gab es Interessantes in diesen fünf Tagen zu beobachten. Viele Reporter, darunter die beiden Cuxhavener Schlachtenbummler, begleiteten den Rallye-Tross auf der gesamten Strecke über 3500 km von Kiel nach München. Dank gilt hier an erster Stelle der Firma Reifag, die ein fahrbares Pressezentrum einsetzte, das von den interessantesten Stellen berichtete. Fast stündlich wurden von hier aus neue Pressemitteilungen verbreitet, so daß die Berichterstatter praktisch dauernd über den genauen Stand der Dinge unterrichtet waren. Als Pressebetreuer fungierten in großartiger Art und Weise Herbert Völker aus Wien und Rainer Braun aus Köln, beides Mitarbeiter der „Auto-Zeitung“. Doch auch durch Industrie und Gemeinden war vorzüglich organisiert.
So in Kiel, wo es den ersten Kontakt mit der dortigen Pressestelle bei der Ausgabe der Arbeitsunterlagen gab, nach dem ersten Fahrtabschnitt in Wolfsburg bei der Betreuung durch die VW-Werke, schließlich in Rüsselsheim durch die Presseabteilung der Adam- Opel-Werke A.G., anschließend bei einer Pressekonferenz organisiert und durchgeführt von Fichtel & Sachs, auf einer Presseparty der Ford-Werke in Plattling und bei der Ankunft bei BMW in München.
Alle oben genannten Firmen stellten den Pressemitarbeitern Arbeitsplätze, oft mit Telefonen, die neuesten Arbeitsunterlagen und Informationsmaterial zur Verfügung.
Ohne die großartige Unterstützung dieser Firmen und Institutionen, aber auch des ADAC und AvD wäre eine derart umfassende Berichterstattung von der Olympia-Rallye 1972 nicht realisierbar gewesen. Günther Lehmanns und Wilhelm Mesters Ziel war es, die Motorsportinteressierten, aber auch alle anderen Leser unserer Zeitung mit den Geschehnissen dieser großen motorsportlichen Veranstaltung vertraut zu machen, ein Unterfangen, das mit eigenen Mitteln allein nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre.
( NEUE CUXHAVENER ZEITUNG vom 23.August 1972)
Für Wilhelm Mester schließt sich beim REVIVAL 2022 ein Kreis: Damals war er 20, dann wird er 70 sein.
Er sagte : „Wieder darf ich von Kiel bis München dabei sein. Wieder treffe ich auf den damaligen Reifag-Bus. Und mehr noch: Ich darf zusammen mit meiner lieben Frau in ihm mitfahren und mich gemeinsam mit Rainer Greubel und dessen Frau selber um die Presse kümmern.
Ich freue mich unheimlich darauf und bin den Organisatoren sehr dankbar dafür.
Meine Fotoapparate von damals existieren nicht mehr, aber meine OLYMPIA Schreibmaschine, auf der meine Presseberichte entstanden sind, wird mich wieder begleiten. Und das Rallyeschild mit der Aufschrift „PRESSE“ wird den Bus zieren“
Original-Dokumente von damals:
Vorberichte zur Rallye

Presse-Stimmen 1

Presse-Stimmen 2

Hans Schwägerl „Vater“ der OlympiaRallye
